Glossen

Ein Tag mit Gras

Wer im Auftrag des Herrn unterwegs ist, den überrascht in der Regel wenig. Dass aber bundespolitische Entscheidungen zu aufregenden Begegnungen auf der Straße führen können, ist schon außergewöhnlich ...

In Wuppertal soll 2031 die Bundesgartenschau (BUGA) stattfinden. Den Organisatoren einer ans Chaos gewöhnten Stadt gefiel es deshalb, im Frühsommer des Jahres 2024 auf dem Platz am Kolk – gewissermaßen als Gruß aus der Zukunft – ein kleines wenig BUGA aufploppen zu lassen. Und so war auf der asphaltierten Fläche eines ehemaligen Parkplatzes mit der Popup-BUGA ein Sammelsurium an Paletten und Pflanzkästen zu sehen, das in seiner Ähnlichkeit dem Außenbereich des Gartensektors eines Baumarktes wenig nachstand. Gut: die zwei Bäume in der Mitte konnten als entfernte Reminiszenz des Gartens Eden verstanden werden. Wahre Erkenntnis aber entsteht nur aus der Begegnung.

Vielleicht war es die Absicht der Organisatoren der Popup-Buga, der Ödnis nach biblischem Vorbild schöpferisch Herr zu werden. Jedenfalls wurde ich gebeten, den einen oder anderen Beitrag zum Rahmenprogramm zu liefern. Gesagt, getan! Am 24. Juni 2024, dem Fest Johannes des Täufers, jenem Tag, an dem der Spargel geht und die Kräuter kommen, war ich um Punkt 12 Uhr auf dem Platz, um die Kräuter in den spärlichen Kästen und jenen der spärlichen Besucher zu segnen. Es war wirklich wie im Garten Eden. Als der Schöpfer die Kräuter sprießen ließ, war der Mensch nur ein Gedanke. Der Zuspruch hielt sich in Grenzen. Da näherte sich doch tatsächlich ein Mann, der dem Namen „Adam“ alle Ehre machte, denn er sah in der Tat aus, als sei er frisch von der Erde genommen. Man kannte sich – also die anwesende Organisatorin kannte den frisch von der Erde Genommenen … Was denn hier los sei?, fragte er.

„Der Dr. Kleine segnet Kräuter“, antwortete ihm die Organisatorin.

Und jetzt kam ich ins Spiel!

„Können Sie auch mein Kraut segnen?“, fragte er.
„Kommt drauf an, was es für ein Kraut ist …“, antwortete ich ahnungsvoll.
„Na, Gras halt – Marihuana. Ist ja jetzt legal.“
„Mein Freund, wenn ich dir das segne, dann knallt das so, dass du nicht mehr vom Himmel runter kommst. Ich wäre da also vorsichtig.“

Und dann kam sie, die Frage, auf die man als Mann und als Frau der Kirche wartet:

„Was sagt denn die Bibel darüber.“
„Ich würde Dir Psalm 141, Vers 2 empfehlen:‚Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf.‘“
“Geil, das steht da wirklich?“
„Auf jeden! Du darfst allerdings nicht beim Beten rauchen, sondern beim Rauchen beten!“, gab ich zu bedenken.
„Ok, hast du eine Bibel dabei?"
„Nein, aber ein Gebetbuch. Da steht der Psalm auch drin.“

Und dann erzählte er mir von seiner Konfirmation, von seinem evangelischen Jugendpfarrer und den Liedern, die man damals, Ende der 80er so gesungen habe. Im Übrigen sei mein Gebetbuch ideal zum Drehen einer Tüte – wg. des Knicks in der Mitte. Ob er das mal haben dürfe.

Er durfte – aber nur unter der Bedingung, mir zu zeigen, was er da so macht. Was Weed, Gras, Bubatz und wie man das Zeug so nennt, angeht, bin ich eher so jungfräulich wie die Gottesgebärerin bei der Ankunft des Engels Gabriel …

Ich lernte und er drehte – in meinem Gotteslob, im Knick des Psalmes 141. Ob ich auch mal ziehen wollte, fragte er. Ich lehnte ab – zu viele Klienten, die sich mit dem Zeug eine Psychose eingefangen haben, lassen mich vorsichtig werden. Dann zündete er sich den Joint an und fing an zu singen:

„Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf …“

Beim Rauchen sogar doppelt beten – alles richtig gemacht. Möge dem Herrn auch dieses Rauchopfer gefallen. Ob Lauterbach so weit dachte?

Ich bleibe trotzdem lieber bei Weihrauch, danke dem Allmächtigen aber für diese merkwürdig wundervolle Begegnung auf dem wüsten Boden des noch zu werdenden Paradieses in Wuppertal …

Dr. Werner Kleine

Lost in Wuppertal

Es ist noch nicht allzu lange her, da schielte man in Wuppertal verstohlen in das Rheinland. Zu gerne wollte man dazu gehören. Es verwundert ein wenig, dass eine Stadt, die immerhin das Oberzentrum des Bergischen Landes ist, die bergische Identität so versteckt. So entsteht zwischen Westfalen und Rheinland ein Nirgendwo, vielleicht auch – so würden die Anhänger der Science-Fiction-Serie „Star Trek“ sicher mutmaßen – eine Phasenverschiebung, die Materie einfach absorbiert und verschwinden lässt.
Dafür, dass es sich bei diesen Vermutung nicht um die spinnerte Idee eines Star-Trek-Fans handelt, gab es in der jüngeren Vergangenheit eindeutige Indizien. Es ist noch nicht allzu lange her, da verschwand etwa das Lego-Schwein von Spielwaren Müller in Elberfeld auf mysteriöse Weise. Auch wenn manche es an der Legobrücke der Nordbahntrasse zu sehen glaubten, verliert sich seine Spur im Nirgendwo. Ähnlich erging es auch dem Jesuskind, das erst vor kurzem auf mysteriöse und bisher ungeklärte Weise aus der Graffiti-Krippe verschwand.
Alles Zufall? Wohl kaum. Wer gelernt hat, dem gesunden Menschenverstand zu misstrauen, der sieht überall in der Stadt Löcher, die auf geheimnisvolle Weise Materie absorbieren. Man muss da gar nicht an die Millionen denken, die aus dem Stadtsäckel verschwinden. Es ist viel augenfälliger. Wo vor Jahr und Tag noch eine Bundesstraße war, gähnt jetzt ein großes Loch, das man paradox als  Döppersberg bezeichnet.
Findige Forscher wissen längst um die geheimnisvollen Kräfte, die da in Wuppertal wirken. Der Kundige ahnt es: Eine Stadt mit diesen Ressourcen ist wie gemacht, um Dinge schnell und unauffällig verschwinden zu lassen. Es kann keinen Zweifel geben: Das Bernsteinzimmer muss sich im Wuppertaler Paralleluniversum befinden. Der Namensvetter des Autors dieser Glosse (nicht verwandt und nicht verschwägert!) ist auf der richtigen Spur!
Der aufmerksame Leser wird überdies festgestellt haben, dass die gravitätische Energie sich besonders in Elberfeld bündelt. Das springt doch geradezu ins Auge. Und ja: Da ist doch noch etwas ... Der Tunnel am Döppersberg wurde dicht gemacht. Das kann doch kein Zufall sein. Und plant nicht ein Investor ganz in der Nähe ein FOC in der alten Bundesbahndirektion? Hinter dem Schein der Wirklichkeit erkennt der Wissende, dass das alles nur Tarnung ist: Im Keller der Bundesbahndirektion ist der Übergang zum Paralleluniversum! Dort sitzen der Graffiti-Jesus, das Legoschwein und sicher die eine oder andere verlorene Seele im Bernsteinzimmer in trauter Rotweinrunde.
Verwunderlich ist das nicht in einem Haus, das einer Institution Heimat war, für die das Phänomen Zeit auch nur eine Illusion ist. Wer immer am Bahnhof auf den nächsten Zug wartet, für den ist die Phasenverschiebung kein Hirngespinst: Züge fallen eben nicht einfach aus. Sie fahren nur in der nächsten Phase ...

Der Text wurde als Glosse in der Lokalausgabe der WZ Wuppertal vom 23. Januar 2015 erstveröffentlicht